Forschungstag zum Englischen Mittelalter, den Britischen Inseln und Irland 2021

Forschungstag zum Englischen Mittelalter, den Britischen Inseln und Irland 2021

Organisatoren
Alheydis Plassmann, Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn; Stefan Schustereder, Institut für Anglistik, Amerikanistik und Keltologie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn; Dominik Waßenhoven, Historisches Institut, Universität zu Köln
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.09.2021 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Lea Janßen, Historisches Institut, Universität zu Köln

Zum sechsten Mal fand der Forschungstag zum Englischen Mittelalter, den Britischen Inseln und Irland statt, im zweiten Coronajahr erneut digital via Zoom. Ausgerichtet von den GründerInnen des dahinterstehenden Forschungsportals und Netzwerks Alheydis Plassmann, Stefan Schustereder und Dominik Waßenhoven, bot die Veranstaltung in bewährter Weise fortgeschrittenen StudentInnen, DoktorandInnen und PostdoktorandInnen aus dem deutschsprachigen Raum die Möglichkeit, ihre Forschungen zu den Britischen Inseln und Irland im Mittelalter vor- und zur Diskussion zu stellen. In diesem Jahr nahmen vier ForscherInnen die Chance wahr, gaben Einblicke in ihre Projekte und boten damit den TeilnehmerInnen ein facettenreiches Bild aus den verschiedensten Bereichen der aktuellen Forschung. Das Prozedere sah vor, dass die TeilnehmerInnen im Vorfeld der Tagung die Vorträge der vier ReferentInnen in Form von Screencasts ansehen und Fragen in einem Forum stellen konnten. Am Forschungstag selbst fanden, aufgeteilt in zwei Panels, die Beantwortung der Fragen und darauf aufbauend Diskussionen statt.

Nach einer Begrüßung durch Alheydis Plassmann und Dominik Waßenhoven machte BERNHARD BAUER (Graz) den Anfang im ersten Panel. In seinem Screencast hatte er sein Projekt „Early Medieval Glosses and the question of their genesis. A case study on the Vienna Bede“, kurz „Gloss-ViBe“ vorgestellt. Dieses wird von Bauer im Zuge eines Marie Skłodowska-Curie European Postdoctoral Fellowships am Zentrum für Informationsmodellierung – ACDH und am Institut für Antike der Universität Graz bearbeitet. Begonnen im September 2021, soll sich dieses Projekt mit der Untersuchung der keltischsprachigen Glossen zu Beda Venerabilis' De Temporum Ratione befassen. Ein gesetztes Teilziel ist es dabei, eine digitale Edition der Wiener Beda-Handschrift, Codex 15298, zu erstellen, wie sie in der geplant umfassenden Form der Forschung zu frühmittelalterlichen Glossen in diesem Bereich bis dato fehlt. Im Vergleich mit Parallelglossen aus drei weiteren Handschriften sollen Glossengenese und Texttradition der Wiener Beda-Handschrift beleuchtet werden. Ob die altirischen Glossen in ihrer Genese Originalkompositionen oder Übersetzungen lateinischer Glossen darstellen, wird dabei Hauptforschungsfrage des Projektes sein. Neben der Schilderung seiner Vorgehensweise zur Bearbeitung des Materials und seiner Planung des Projektverlaufs zeigte Bauer auch die vorgesehene Darstellung der digitalen Edition in ihren verschiedenen Facetten. Über die Transkription und Sammlung der Glossen und die Erstellung einer digitalen Edition hinaus ist das dritte Teilziel des Projekts, ein theoretisches Framework zur Bearbeitung und Analyse von Parallelglossen allgemein zu erarbeiten. Dabei setzt Bauer auf eine Kombination aus close und distant reading-Methoden. Hier verspricht er sich insbesondere von der historisch-vergleichenden Methode der historischen Sprachwissenschaft gute Fortschritte für die Beantwortung seiner zentralen Forschungsfrage.

Religionstoleranz stellte das Thema des zweiten Beitrages dar. TINA DRUCKENMÜLLER (Düsseldorf) hatte sich in ihrem Screencast Gilbert Crispins Disputatio Iudaei gewidmet und die in der Forschung häufig wiederkehrende Annahme hinterfragt, dass es sich bei dem Text um ein Beispiel religiöser Toleranz im Mittelalter handele. Aus dem Interesse an Gottesbeweisen heraus auf den Text gekommen, zog Druckenmüller aufgrund theoretischer Überlegungen zu Toleranz und der Frage nach einer realen Gesprächsgrundlage und Zielgruppe des Textes in Betracht, dass es sich vielleicht gar nicht um einen interreligiösen Dialog handeln könnte. Ausgehend von den genannten Aspekten stellte Druckenmüller zur Diskussion, dass sich der Text an Christen gerichtet haben könnte, um innerreligiöse Kritik und Zweifel auszuräumen. Demnach könne die Disputatio nicht als Quelle für jüdisch-christliche Beziehungen im Mittelalter herangezogen werden.

Nach einer kurzen Kaffeepause wurde das zweite Panel eröffnet. Die TeilnehmerInnen wurden von EVA WODTKE (Duisburg-Essen) in den Bereich der Schnittstelle von Germanistik und Keltologie geführt. In ihrem Vortrag stellte Wodtke einen Vergleich des „Iwein“ Hartmanns von Aue mit der im Mabinogion enthaltenen Romanze „The Lady of the Fountain“ an. Wodtke konnte zeigen, dass es in der walisischen Erzählung im Gegensatz zu Hartmanns „Iwein“ erhebliche Episodenauslassungen gab, auch wenn beide Texte sich derselben Quelle bedient zu haben scheinen (dem Yvain ou Le Chevalier au lion von Chrétien de Troyes). Dennoch gestalteten sie die Texte voneinander abweichend aus, was Wodtke zufolge auf divergente kulturelle Hintergründe und andersartige Vortragssituationen zurückzuführen sei. Gerade die mit den unterschiedlichen Umfängen einhergehende, abgewandelte Gewichtung der Episoden verursache auch verschiedene Motivationen der Akteure beider Texte. Trotz ihrer Kürze könne „The Lady of the Fountain“ im Vergleich zum „Iwein“ aber mit einer weitaus detailreicheren Schilderung des Raumes aufwarten, wie Wodtke herausarbeiten konnte. Dabei erscheint das Reich der „Lady“ als geradezu abgegrenzt und übernatürlich – auch diese Eigenschaft geht Hartmanns „Iwein“ ab. Ebenso konnte Wodtke zeigen, wie die beiden Ausführungen des Stoffes in der Darstellung von Zeit voneinander abweichen. Während sich im Mabinogion Zeitabschnitte sehr häufig an die Dreizahl als mythischem Ultimum halten, orientiere sich Hartmann von Aue größtenteils an realen, verbindlich festgelegten Zeiträumen wie die Frist von Jahr und Tag.

Über das Genre der mittelalterlichen Merlintexte sprach im Abschlussvortrag des zweiten Panels CARINA BECKER (Düsseldorf). Sie präsentierte vorläufige Schlussfolgerungen aus dem ersten Jahr ihrer Promotion, in der sie den altfranzösischen Roman du Merlin und seine mittelalterlichen Bearbeitungen vergleichend analysiert. Dreh- und Angelpunkt waren dabei der Roman-Begriff und die Genre-Frage. Bei der Untersuchung, die sich in diesem Rahmen auf den Roman du Merlin konzentrierte, konnte Becker herausarbeiten, dass der Verfasser den Text nicht entlang der Eigenschaften der heute gebräuchlichen Definition des Genres mittelalterlicher Romane gestaltete, zumal die Handschriften des Roman du Merlin den Text so gut wie nie als Roman ausweisen. Über einen äußerst kreativen Vergleich mit dem Marvel Cinematic Universe stellte Becker darüber hinaus aufgrund der textlichen Heterogenität von „Artus-Romanen“ infrage, dass sie als Subgenre des Romans einzuordnen sind. Stattdessen schlug sie vor, die Bearbeitungen des Artus-Stoffes in einem eigenen Universum mit gemeinsamem Personenrepertoire und festen Handlungselementen verbunden zu sehen, wobei sie in unterschiedlichen Genres erscheinen können. Mit Blick auf die mittelalterlichen Bearbeitungen des Artus-Stoffes konnte Becker in Bezug auf Textgrenzen in Manuskripten zeigen, dass der Roman du Merlin wohl nicht separat gelesen und eher im Kontext von vor- und nachgelagerten Erzählungen aufgenommen wurde.

Abgeschlossen wurde der diesjährige Forschungstag mit einer offenen Austauschrunde, die sich an die beiden Diskussionspanels anschloss. Hier erfolgte vor allem ein Dialog über digitale Programme zur Be- und Verarbeitung von Quellentexten.

Trotz des allgemein geäußerten Wunsches nach baldiger Rückkehr zu Präsenzabhaltung von Tagungen und Konferenzen wurde von allen Seiten das Online-Konzept des Forschungstages gelobt. Auch im kommenden Jahr soll der Forschungstag des Netzwerks wieder stattfinden, derzeit ist ein hybrides Format mit Präsenz in Bonn geplant.

Konferenzübersicht:

Bernhard Bauer (Graz): Gloss-ViBe: Ein (weiterer) Schritt zu einer digitalen Keltologie

Tina Druckenmüller (Düsseldorf): Gilbert Crispins Disputatio Iudaei – ein frühes Beispiel für religiöse Toleranz?

Eva Wodtke (Duisburg-Essen): nu chom min her Iwein in ein seneden gedanc ... And the remembrance of his adventure came to Owein. Ein Vergleich des „Iwein“ Hartmanns von Aue mit der im Mabinogion enthaltenen Romanze „The Lady of the Fountain“

Carina Becker (Düsseldorf): Das Genre der mittelalterlichen Merlintexte: Eine Problematisierung und vorläufige Erkenntnisse


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